Gedichte von Friedrich Rückert



Das „Leben Jesu“

So sind von ihm bedacht
Auch die, die ihn nicht kennen
Und ehren seine Macht,
Auch wenn sie's anders nennen.
S. 19

Leicht ist's Widersprüche finden,
Ist dein Witz nicht allzu seicht;
Aber eins ist nicht so leicht:
So die Glieder zu verbinden,
Daß die Widersprüche schwinden
Und sich aus das Ganze gleicht.
S. 26

Im Anfang war das Wort, vom Anfang immerfort.
War da bei Gott das Wort, und Gott war dieses Wort.
Nichts, was entstanden ist, ist ohne es entstanden,
Und was vorhanden ist, ist nur durch es vorhanden.
S. 30

Ich finde dich, wo ich, o Höchster, hin mich wende,
Am Anfang find' ich dich und finde dich am Ende.
Dem Anfang geh' ich nach, in dir verliert er sich;
Dem Abschluß späh' ich nach, aus dir gebiert er sich.
Du bist der Anfang, der sich aus sich selbst vollendet,
Das Ende, das zurück sich in den Anfang wendet.
S. 30

Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß er gegeben
Den Sohn zum Tode, daß, die an ihn glauben, leben.
S. 43

Genug hat jeder Tag an seiner eignen Plage;
Wer aber Gott vertraut, hat Lust an jedem Tage.
S. 43

Darum, den neuen Wein gießt man in neue Schläuche.
Dem neuen Heile sind unbrauchbar alte Bräuche.
S. 43

Des ganzen Leibes Licht, es ist das Auge dein;
Ist nun dein Auge rein, ganz lichthell wirst du sein.
S. 43

Drum alles, was ihr wollt, dass euch die andern tun,
Tut ihnen! Dies ist des Gesetzes Fülle nun.
S. 44

Kommt zu mir all, die ihr mühselig und belastet
Auf euren Wegen geht! Ich schaff' euch, wo ihr rastet.
S. 44

Nehmt auf mein Joch und lernt von mir, seid was ich bin!
Sanftmütig ist mein Herz, demütig ist mein Sinn.
S. 44

Und wo zwei oder drei, die meinem Namen dienen,
Versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
S. 44

Ein Gleichnis sprach er auch darüber, daß man beten
Müß' allezeit, und nicht zurück kleinmütig treten.
S. 44

Gib unser täglich Brot! Vergib die Schuld im stillen,
Wie wir vergeben gern auch unsern Schuldigern;
Führ in Versuchung nicht, und halt uns Böses fern!
Denn so den Menschen ihr vergebt nicht ihren Fehl,
Wie soll der Vater euch vergeben euren Hehl?
Doch wo den Menschen ihr vergebt die Fehle gern,
So wird auch euch verziehn vom Vater, eurem Herrn.
S. 45

Man reißt das Haus nicht ein,
das Väter uns gebaut;
doch richtet man sich's ein,
wie man's am liebsten schaut.
S. 64

Evangelien-Harmonie in gebundener Rede
Friedrich Rückert 1839
Nachzulesen in Digitale Sammlungen

Zu diesem digitalisierten vollständigen Text zitieren wir hier aus:

Hans-Martin Barth
Das „LEBEN JESU“
Ein Zeugnis protestantischer Spiritualität
ISBN 978-3-96577-059-1
https://www.verlag-blaues-schloss.de/das-leben-jesu.html


Alles ist so mailich im Mai

Alles ist so mailich im Mai,
Der Nachtigall Sang, des Kukuks Schrei,
Des Baches Rieseln, der Lüfte Hauch,
Und der säuselnde Blüthenstrauch;
Wären so mailich die Menschen auch!
Aber sie reden ihr trocknes Wort
Mitten im Maienthau so fort;
Wie störend tönt mich's an von dort!
Geh' ihnen aus dem Wege,
Tief allein in's Maiengehege!
Nur vielleicht ein Kindlein singt,
Das der Maihauch rein durchdringt,
Wie der Vogel von Lust beschwingt;
Das wird auf Waldespfaden
Der Maienlust nicht schaden,
Es sei in's Geheg' geladen!


Hochdeutsche Liebesnot

O wenn ich doch nur rede könnt
Gut fränkisch, wie mei Mädle,
Daß sie besser mich verständ
Des Nachts am Fensterlädle,

Red' ich noch so schöne Sachen,
Fängt sie halt hell an zu lachen,
Sagt: Sei still, i bitt,
Ich versteh di ja nit,

Und wenn ich nur e Wämsle hätt,
Und so e fränkisch Jäckle,
Daß sie mich herzhaft drücke thät
Beim Tanz an's Busefleckle.
Dünk' ich mich gleich recht geputzt,
Schaut sie quer mich an und stutzt,
Sagt: das is mer e Schnitt;
Geh', du gefällst mer nit.

Und wenn ich nur könnt Waffe führ'n
Als wie e fränkischer Bauer;
Wenn ich einmal was an will rühr'n,
Sieht sie gleich drein so sauer.
Greif ich nur nach ihrem Rechen,
Schreit sie: Ruh, du wirst dich stechen,
Kennst mein'n Rechen nit,
Sollst mir nit rechen damit.

O du hochdeutsch Vaterland,
Wie bringst du Sorgen mir leider,
Weil ich hab' hochdeutschen Verstand,
Hochdeutsche Sprach' und Kleider.
Hätt' ich Art wie 'n fränkisch Büble,
Ließ mich's Mädle Nachts in Stüble,
Schrie nit gleich immer nit! nit!
Sobald ich sag', i bitt!


Nun ist das Licht im Steigen ...

Nun ist das Licht im Steigen,
Es geht ins neue Jahr.
Laß deinen Muth nicht neigen,
Es bleibt nicht, wie es war.
So schwer zu sein, ist eigen
Im Anfang immerdar,
Am Ende wird sich's zeigen,
Wozu das Ganze war.
Nicht zage gleich dem Feigen
Und klag' in der Gefahr!
Schwing auf zum Sonnenreigen
Dich schweigend wie der Aar!
Und wenn du kannst nicht schweigen,
So klage schön und klar!


Aus dem Liedertagebuch, 2. Januar 1852

So haben wir ein Schaltjahr heuer;
Im Alter sind die Stunden theuer,
Und volle vierundzwanzig Stunden
Sind mir in diesem Jahr gefunden,
Wenn anders ich sie werd' erleben;
Was aber ist damit gegeben?
Kein Groschen mehr an Pension,
Und sicher bleibt mir nichts davon
Als daß ich mich von Kopf und Fuß
Einmal mehr an und ausziehn muß


Aus den Kindertodtenliedern, 1834

Mein Mädchen und mein Bübchen,
In euerm Kinderstübchen
Als ihr beisammen waret,
Den übrigen geschaaret,
In vollem frischem Leben,
Von Jugendlust umgeben,
In eurer Anmuth Schimmer,
So nah an meinem Zimmer,
Besucht‘ ich euch so selten,
Das muß ich nun entgelten,
Besuchen muß ich gerne
Euch nun dort in der Ferne,
Wo hinter öden Mauern
Die Blumen um euch trauern,
Wo ihr so stille schweiget,
Und mir kein Lächeln zeiget,
Kein Lebenszeichen gebet,
Und nicht das Köpfchen hebet,
Als Staub zu meinen Füßen
Nicht merket auf mein Grüßen.
Und dieß nur muß mich trösten,
Daß in des Frühlings Frösten
Die Sträuche doch gediehen,
Die wir für euch dort ziehen,
Und schon mit Blättlein schwanken,
Um mir für euch zu danken,
Daß ich, weil unerwecket
Ihr schlaft, ich euch bestecke
t Grün euer Kinderstübchen,
Mein Mädchen und mein Bübchen!

PS: Die Rechtschreibung und Interpunktion folgt dem von Wollschläger und Kreutner herausgegebenen Band.


Unglück

Immer scheint die Sonn' am hellsten,
Wann ich muß ins Haus mich schließen;
Und die Stunde rinnt am schnellsten,
Die ich langsam will genießen.

Wo es Rosen giebt zu riechen,
Werd' ich stets den Schnupfen haben
, Und gewiß am Magen siechen,
Wo mich soll ein Braten laben.

Immer hab' ich Lust zu wachen,
Wann die Nachtlamp' ausgegangen;
Brauche sie nur anzufachen,
Und mich wird der Schlaf umfangen
.
Immer war die Stadt unleidlich,
Wann ich sollt' in ihr verweilen,
Und gefiel mir dann erst weidlich,
Wann ich mußte weiter eilen.

Golden sah ich stets die Ferne,
Und die Nähe stets erbleichen,
Und nur reizend stets die Sterne,
Weil ich nie sie konnt' erreichen.

Zweiter Band. Zweite Reise. Fest- und Trauerklänge. Seite 160.


Adventslied

Dein König kommt in niedern Hüllen,
ihn trägt der lastbarn Es'lin Füllen,
empfang ihn froh, Jerusalem!
Trag ihm entgegen Friedenspalmen,
bestreu den Pfad mit grünen Halmen;
so ist's dem Herren angenehm.

O mächt'ger Herrscher ohne Heere,
gewalt'ger Kämpfer ohne Speere,
o Friedefürst von großer Macht!
Es wollen dir der Erde Herren
den Weg zu deinem Throne sperren,
doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

Dein Reich ist nicht von dieser Erden,
doch aller Erde Reiche werden
dem, das du gründest, untertan.
Bewaffnet mit des Glaubens Worten
zieht deine Schar nach allen Orten
der Welt hinaus und macht dir Bahn.

Und wo du kommst herangezogen,
da ebnen sich des Meeres Wogen,
es schweigt der Sturm, von dir bedroht.
Du kommst, dass auf empörter Erde
der neue Bund gestiftet werde,
und schlägst in Fessel Sünd und Tod.

O Herr von großer Huld und Treue,
o komme du auch jetzt aufs Neue
zu uns, die wir sind schwer verstört.
Not ist es, dass du selbst hienieden
kommst, zu erneuen deinen Frieden,
dagegen sich die Welt empört.

O lass dein Licht auf Erden siegen,
die Macht der Finsternis erliegen
und lösch der Zwietracht Glimmen aus,
dass wir, die Völker und die Thronen,
vereint als Brüder wieder wohnen
in deines großen Vaters Haus.


Das Abendlied vom Turme

Vom Turme bläst ein Abendlied
In Abendlerchenchöre.
Was sagt es? daß ein Mensch verschied;
Daß nichts die Ruh' ihm störe!

Sei er geschieden sanft und rein,
Wie dort die Sonne scheidet,
Und ruh' in Friede wie der Hain
In Abendrot gekleidet!


Abendrast

Zur Abendrast
Im Wald ein Gast,
In Gottes Haus
Wie ruh' ich aus!

Denn heut mit Kraft
Hab' ich geschafft,
Und spiele jetzt
Zu guter Letzt.

Doch was gerieth
Als Werk? ein Lied.
Und was beschied
Das Spiel? ein Lied.

Ein Lied zuvor
Im höchsten Chor,
Nun eins zum Lohn
Im tiefsten Ton.

So preis' ich ihn,
Der mir verliehn
Gesang ins Herz
Zu Ernst und Scherz.


Wenige Tage vor Rückerts Tod am 31. Januar 1866

Menschenkind,
Man senkt gelind
Dich in die Erde hinunter,
Dann wird ob dir
Der Rasen grün
Und Blumen blühn,
Und du blühst mitten darunter.

(Quelle: Poetisches Tagebuch, 1850-1866,
aus Rückerts Nachlass)


Wilder Sommer

An dem Himmel Wolkenwogen,
Windesbrausen in dem Wald,
Dabei bin ich auferzogen,
Dieses ist mein Aufenthalt;
Solchen Sommer liebt mein Sinn,
Weil ich selbst ein solcher bin.

Wenn die Sonne aus dem Blauen
Ungedämpft hernieder blickt,
Kann ich frei nicht aufwärts schauen,
Weil der Glanz mich niederdrückt.
Fragend sieht das Licht mich an,
Warum ich nur trauern kann?

Aber wenn in Waldesblättern
Sturmes Ahnung flüsternd wacht,
Sich der Himmel regt zu Wettern,
Und der Donner furchtbar lacht;
Richt' ich meines Auges Blitz
Kühn nach dem aus Wolkenritz.

Tag für Tag ein Regenbogen
Ueber meine Flur gespannt!
Komm ich drunter hergezogen,
Träufelt's auf die heiße Hand;
Und mein Auge labt das Licht,
Das aus Himmelsthränen bricht.

Nicht auf regungslosen Feldern
Schäfer, der die Flöte spielt!
In den lauten Eichenwäldern,
Wo der Schütz nach Blute zielt,
Wo der Falk noch kreischen kann,
Flieg' ich meine Falkenbahn.

Darum bin ich dir gewogen,
Dir vor allen, Heimathland;
Kühl im Wald mich auferzogen
Hast du, nicht im Sonnenbrand;
Was mich wiegen kann in Ruh,
Sturm und Wolken schenkest du.


Die Winde im Dienste der Sonne

Woher die Winde kommen,
Wohin die Winde gehn,
Hat niemand wahrgenommen,
Hat niemand eingesehn.

Ich aber hab's empfunden,
Aus welchem Lebensschacht
Ihr Zug ist, und gebunden
An welche Zaubermacht.

Vom lichten Quell der Wonne,
Den trinket Herz und Strauch,
Wie Strahlen von der Sonne
Gehn aus die Winde auch.

Sie haben eigenmächtig
die Welt mit Kampf erfüllt,
Wenn sich am Tage nächtig
Das Herrscheraug' umhüllt.

Doch wenn die Kön'gin kräftig
Ergreift das Regiment,
So dient ihr gleich geschäftig
Das wilde Element.

Und wie die goldnen Zügel
In leichter Hand sie führt,
So haben sie die Flügel
Auf ihren Wink gerührt.

Das hab' ich in den Tagen
Des Sommers klar gesehn,
Wo ihren Siegeswagen
Sie läßt am höchsten gehn.

Ein frischer Nordost hauchet,
So früh als ich erwacht,
Von dorther, wo nun tauchet
Die Sonn' aus kurzer Nacht;

Der aus dem Morgenrote
Geht aus mit Morgentau,
Und weckt als Morgenbote
Das Lied der Morgenau.

Dann steht sie auf den Pfosten
Des Bergs im vollen Schein;
Dann haucht es rein aus Osten,
Und haucht den Himmel rein.

Und wie sich dann südöstlich
Neigt ihre Fahrt gelind,
Halb frisch, halb lau weht köstlich
Ein Morgenmittagswind.

Und wo im Hochmittage
Sie stille steht wie müd,
Mit mattem Flügelschlage
Geht durch die Flur der Süd;

Bis nun sie gen Südwesten
In milderm Glanze schwebt,
Und jedes Blatt an Ästen
Des Zephyrs Hauch belebt.

Aufsetzet sie dann festlich
Den Abendwolkenkranz;
Da spielt ein Luftzugich
Durch Abendmückentanz.

Und wann sie ganz am Abend
Neigt dem Nordwesten zu,
Haucht Abendnachtwind labend:
Die Herrin geht zur Ruh'.

Doch ist es Nacht geworden,
Greift in die Aolsharf'
Ein scharfer Hauch aus Norden,
Der jetzo spielen darf.

In schwellenden Akkorden
Tönt er die ganze Nacht,
Daß auch der starre Norden
Steht unter Sonnenmacht.

Unsichtbar unterm Norden
Geht hin der lichte Trost
Der Welt, bis hell geworden
Von neuem der Nordost.


Die Schmetterlinge

Wie die bunten Schmetterlinge
Gaukelt dir auf allen Wegen
Mit der goldbemalten Schwinge
Leichter Freuden Schar entgegen.
Hasche, hasche, was dir immer
Dir davon zu haschen glücket,
Und von ihrem Farbenschimmer
Sei dein Auge sanft erquicket.
Aber laß sie weiter streichen,
Eh' die Schwingen sich entfärben,
Und die Matten, Todesbleichen,
Traurig dir in Händen sterben.


Zu meinem Geburtstag

Zu meinem Geburtstag,
Dem sechzehnten Mai,
Wünschte die Liebste
Mir mancherlei.

Mit trunknem Wohlgefallen sog
Mein Ohr der Wünsche Schmeichelei.
Und als ihr Herz sich ausgewünscht,
Wünscht' ich mir selber dies dabei:
Erhalte Gott mir dies Gefühl
Der Lieb' im Busen wolkenfrei,
Daß hell in jedem Augenblick
Mein Glück mir gegenwärtig sei.

Wie ich sie lieb' und sie mich liebt,
Wie ich ihr geb' und sie mir giebt,
Wie mich beglückt, die ich beglücke,
Wie mich entzückt, die ich entzücke,
Wie sie mich fühlt, die ich empfinde,
Wie sie mich hält, die ich umwinde,
Wie ich sie trage, sie mich hebt,
Wie ich ihr leb', und sie mir lebt.

(Aus dem Liebesfrühling)


Am sechszehnten Mai

Am sechszehnten Mai ist Glorie volle der Maien,
Am siebzehnten bereits neigt er dem Ende sich zu.
Am sechszehnten hat er noch einige Stufen zu
Bis zum Gipfel hinan, Stufen mit Rosen bestreut.
Vor und nachher im Mai sind andere Dichter geboren,
Am sechszehnten allein glaub’ ich geboren zu seyn.
Rühmt’ ich eines, so rühm’ ich ein anderes: nicht nur geboren
Bin ich in Mitte des Mai’s, auch in der Mitte des Mains.
Vom Jean Paulschen Bayreuth bis hinan zum Goetheschen Frankfurt
Ist er in Mitte des Laufs, wo mich geboren der Main.
Mainfurt sollte deswegen genannt seyn meine Geburtsstadt;
Weinfurt ist sie genannt ohne den Zischer davor.

Rückert: Briefe, Bd. 2 (1977), S. 1376 (Brief Nr. 1088 v. [Ende Mai] 1863)


Das ist das Wetter nicht

Das ist das Wetter nicht, das, als sie mich gebar,
Die Mutter mir versprach, bald ists nun funfzig Jahr,
Als einen Monatlang sie die Geburt verschoben,
Daß sie erst den April ließ seine Laun' austoben:
Im warmen Schoße ward ich zärtlich aufgehoben,
Bis völlig auf der Flur der Wintersturm verschnoben:
Als am sechzehnten Mai war aller Frost vorbei,
Schiens, daß ihr erster Sohn ihr zu gebären sei.
Sie lächelte dabei und sprach: Dein Leben sei
Von Kummerfrösten frei stets ein sechzehnter Mai.
O hätte sie's vermocht, die nun im Grabe ruht,
Mir zeigte die Natur stets mütterlichen Muth,
Die so stiefmütterlich sich leider nun erweiset,
Daß mein Geburtstag sich mit Winterfrost umeiset.
Das hat, so ahnungsreich, die Mutter auch geahnt,
Die mit Sprichwörtern mich daran als Kind gemahnt.
Das eine war: Der Mai, der Mai ist nichts zu gut,
Er schneit dem Schäfer wohl zuweilen auf den Hut.
Das andre Sprichwort klang noch frostiger: Im Mai,
Im Mai erfrieret oft der Vogel selbst im Ei.
Und wenn ich feiern mein Geburtsfest müßt' im Freien,
So würde auf den Hut Herr Mai dem Schäfer schneien.
Und hätt' ich nicht ein Nest ein warmes mir erkoren,
So wär' im Mai im Ei der Vogel gar erfroren.

(Aus: Die Weisheit des Brahmanen)

Frühlingsanfang

(Nach dem Anfang einer Kaside von Saadi.)

Morgens weckte mich ein Hauch:
Frühling hat begonnen,
Auf und bade nun dich auch
Wie die Welt in Wonnen.

Ging ich übers Feld im Kreis
Blühender Gestalten:
Eine sprach: »Du bist ein Greis,
Sitze bei den Alten!«

Doch ich sagte. »Liebes Kind,
Sieh den Berg, den hohen,
Über dessen Scheitel sind
Jahre viel geflohen.

Aber aus dem Wintertraum
Hat er sich gerüttelt,
Hat von seines Kleides Saum
Frost und Reif geschüttelt.

Nimmt fürs graue Pelzgewand
Sommergrüne Decken,
Um an kühler Bäche Rand
Sanft sich hinzustrecken.

Alle Blumen ladet er,
Ihm zu nahn mit Düften,
Und mit Wonne badet er
In den lauen Lüften.

Also laßt mich zwischen euch
Ruhn und mit Behagen
Träumen unter Lenzgesträuch
Von vergangnen Tagen.«

Friedrich Rückert
Aus der Sammlung Mailieder

Der Dichter ist ein Akrobat

Der Dichter ist
Ein Akrobat, Äquilibrist
Auf Redeseilen schreitend, straff gespannten,
Mit Windungen Wendungen vielgewandten.
Durch seiner Sprünge Launen
Weckt er Erstaunen,
Und selber kleine Schrecken
Will seine Kühnheit wecken;
Doch wenn man denkt: nun fällt er,
So hält er
Im Gleichgewichte wieder
Den Leib und alle Glieder.
Und wenn er einmal wirklich stürzt,
So fliegt er leicht, wie luftgeschürzt,
Und sein Beruf bleibt unverkürzt,
Denn weder Hals noch Knochen
Hat er gebrochen.

Friedrich Rückert, Aus dem Nachlaß.
Beyer, Band IV, Seite 502

Nachzulesen im neuen Rückert-Buch von Klaus Gasseleder
Der Dichter ist ein Akrobat


Die Weisheit des Brahmanen, Nr. 3

Poeten, lasset uns treulich zusammen halten!
Erkälten dürf' uns nicht die Welt, noch selbst erkalten.

Haucht aus euch nur die Gluth, die Gott in euch gehaucht,
Und bleibet wohlgemuth, wenn draußen sie verraucht.

Wer größer, kleiner sei, das lasset uns nicht streiten;
Uns richtet diese Zeit, sie richten künft'ge Zeiten.

Gar viel, was heute glimmt, wird über Nacht verglimmen;
Und was nun oben schwimmt, wird fort im Strome schwimmen.

Was dem das meiste gilt, wird der am meisten schelten,
Und drum, was dieser schilt, wird jenem doppelt gelten.

Gut Werk ist Dichterei, die feine wie die plumpe,
Und nur Kunstrichterei ist ein Geschäft für Lumpe.

Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 6. Leipzig, 1839.


Mußt Du denn immer dichten?

Sie sagen bei jedem neuen Lied:
Mußt du denn immer dichten?
Ich sage: Denkt an euer Gebiet!
Müßt ihr nicht immer denken?
Sie sagen: Es ist ein Unterschied
Zwischen denken und dichten.
Ich sage: Für mich mitnichten:
Ich denke nie ohne zu dichten,
Und dichte nie ohne zu denken.

Rückert: Letzte Gedichte


Am sechszehnten Mai

Am sechszehnten Mai ist Glorie volle der Maien,
Am siebzehnten bereits neigt er dem Ende sich zu.
Am sechszehnten hat er noch einige Stufen zu
Bis zum Gipfel hinan, Stufen mit Rosen bestreut.
Vor und nachher im Mai sind andere Dichter geboren,
Am sechszehnten allein glaub’ ich geboren zu seyn.
Rühmt’ ich eines, so rühm’ ich ein anderes: nicht nur geboren
Bin ich in Mitte des Mai’s, auch in der Mitte des Mains.
Vom Jean Paulschen Bayreuth bis hinan zum Goetheschen Frankfurt
Ist er in Mitte des Laufs, wo mich geboren der Main.
Mainfurt sollte deswegen genannt seyn meine Geburtsstadt;
Weinfurt ist sie genannt ohne den Zischer davor.

Rückert: Briefe, Bd. 2 (1977), S. 1376 (Brief Nr. 1088 v. [Ende Mai] 1863)


Bös und Gut der Welt

Ob diese Welt ist bös, ob gut,
das ist die alte Frage.
So ist sie, wie dir′s ist zu Mut
an gut und bösem Tage.

Drum, wenn sie dir gut erscheint,
o mache sie nicht schlimmer;
und meine, wenn sie′s böse meint,
nur gut mit ihr es immer.

Sie ist nicht bös und ist nicht gut,
ist gut zugleich und böse.
Vertrau auf den, der Wunder tut,
dass er den Zwiespalt löse!


Aus den Kindertodtenliedern

Ach von meinem lieben Schwärmchen
Die zwei kleinsten, die zwei feinsten,
Immer unter sich am einsten,
Die sich hatten lieb am reinsten,
Wie sie mit geschlungnen Aermchen
Eines um des andern Näckchen,
Eines an des andern Bäckchen,
Saßen zwei auf einem Stühlchen,
Lehnten zwei an einem Pfühlchen,
Spielten zwei auf einem Tischchen;
So im golden-schönsten Nischchen
Paradieses-weiter Hallen,
Wie einst hier im engen Stübchen,
Soll mein Mädchen und mein Bübchen,
Sitzen, allen
Engeln itzt ein Wohlgefallen,
Mit den leisen Wangengrübchen,
Und ihr Unschuldslallen,
Ihres Lachens Schallen,
Mache wie mein Herz den Himmel wallen!


Auf Erden gehest du

Auf Erden gehest du und bist der Erde Geist;
Die Erd erkennt dich nicht, die dich mit Blüten preist.

Auf Sonnen stehest du und bist der Sonne Geist;
Die Sonn erkennt dich nicht, die dich mit Strahlen preist.

Im Winde wehest du und bist der Lüfte Geist;
Die Luft erkennt dich nicht, die dich mit Atmen preist.

Auf Wassern gehest du und bist des Wassers Geist;
Das Wasser kennt dich nicht, das dich mit Rauschen preist.

Im Herzen stehest du und bist der Liebe Geist;
Und dich erkennt das Herz, das dich mit Liebe preist.


Schön im goldnen Ährenkranz

Schön im goldnen Ährenkranz
Hat der Sommer uns geblüht
Flüchtig kreist des Jahres Tanz,
Und der Sommer flieht.

Hascht den letzten Sonnenstrahl,
Der aus düstrer Wolke dringt,
Eh' sie euch zum letztenmal
Neidisch ihn verschlingt.

Brecht die Blum' am Wiesenquell,
Die noch trinkt das matte Licht,
Brüder, brecht die Blume schnell,
Eh' ein Frost sie bricht.

Traut dem nächsten Lenze nicht,
Der die Blumen neu erweckt;
Wißt ihr, ob im Lenze nicht
Erde schon euch deckt?

In den dunklen Schoß hinab
Dringt kein Gruß der Frühlingsluft,
Und die Blum' auf eurem Grab
Ist euch ohne Duft.

Friedrich Rückert, Haus und Jahr, Herbstlieder


Leicht vergeht ein Tag, an dem nicht was geschah,
Das herzlich mich erfreut, wenn ich es recht besah.
Wenn einer doch verging, an dem mir nichts des neuen
Erfreulichen geschehn, da muß mich altes freuen.

Friedrich Rückert, Weisheit des Brahmanen


Der Wettermacher

Wenn sich das Wetter schlecht läßt an,
Hab‘ ich den Trost erdacht:
Der Himmel, der es ändern kann,
Der sehe zu! was geht‘s mich an?
Hab ich‘s doch nicht gemacht!

Und wann die Luft sich aufgehellt,
Wie es mein Herz begehrt,
Dann blick‘ ich freudig in die Welt,
Als hätte man‘s bei mir bestellt,
Und ich hätt‘ es beschert.

Friedrich Rückert (1788-1866)
Haus und Jahr, Zweites Buch, Sechste Reihe, Herbst

Herbsthauch

Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
Hoffst du von Tagen zu Tagen,
Was dir der blühende Frühling nicht trug,
Werde der Herbst dir noch tragen!

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Immer zu streicheln, zu kosen.
Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
Abends verstreut er die Rosen.

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Bis er ihn völlig gelichtet.
Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
Was wir geliebt und gedichtet.


Friedrich Rückert (1788-1866)
Haus und Jahr, Viertes Buch, Sechste Reihe, Herbst, Herbstlieder
Vertont von Hans Pfitzner (1869-1949), Opus 29,2


Die Monatsrose

Hoffnung ist die Monatsrose,
Deren Knospe viel verspricht,
Doch die kurze dauerlose
Flatterblüte hält es nicht.

Aber daß dich nicht gereue
Monatsrosenlebenslauf!
Hoffnung! geht doch eine neue
Knospe jeden Monat auf.


Das Leben ein Gesang

Daß mein Leben ein Gesang,
Sag ich's nur! geworden;
Jeder Sturm und jeder Drang
Dient ihm zu Akkorden!

Was mir nicht gesungen ist,
Ist mir nicht gelebet;
Was noch nicht bezwungen ist,
Sei noch angestrebet!

Von der Welt, die mich umringt,
Wüßt' ich unbezwingbar
Wen'ges nur; die Seele klingt,
Und die Welt ist singbar.


Die ungesuchten Lieder

Ihr meint, ich habe sie gesucht,
Weil ihrer sind so viele,
Sie suchten mich, ich nahm die Flucht,
Doch floh ich nur zum Spiele.

Dies jüngste wollt' ich von der Hand
In vollem Ernste weisen,
Das doch auf seinem Recht bestand,
Den Schöpfer auch zu preisen.


Schneeglöckchen

Der Schnee, der gestern noch in Flöckchen
Vom Himmel fiel,
Hängt nun geronnen heut als Glöckchen
Am zarten Stiel.
Schneeglöckchen läutet, was bedeutet's
Im stillen Hain?

O komm geschwind! Im Haine läutet's
Den Frühling ein.
O kommt, ihr Blätter, Blüt' und Blume,
Die ihr noch träumt,
All zu des Frühlings Heiligtume!
Kommt ungesäumt!

Ein Festtag soll dich stärken

Ein Festtag soll dich stärken
zu deines Werktags Werken,
dass du an dein Geschäfte
mitbringst frische Kräfte.
Du darfst nicht in den Freuden
die Kräfte selbst vergeuden;
neu sollen sie ersprießen
aus mäßigem Genießen.


Der April zum Maien sprach

Der April zum Maien sprach:
Komm nun! alle sind sie wach,
Die ich aufgewecket.
Alle, die bedecket
Todesschlummer, rüttelt' ich,
Und sie warten nun auf dich;
Gib, was ich versprochen,
Ihrem Herzenspochen.

Gib dem Himmel Himmelsblau
Zum Gewand, und Grün der Au,
Und laß Taujuwelen
Nicht den Blumen fehlen.
Gib zu trinken jedem Gras
Deines Weins ein volles Glas,
Nester gib und Schatten
Allen Vogelsgatten,
Einen Blütenkranz dem Baum,
Und dem Dichter einen Traum,
Daß ihm Jugend wieder
Bringen seine Lieder."